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KI als Servicekraft: Intelligente Dialogsysteme in Kulturinstitutionen  

Wenn ein Roboter Museums-Besucher:innen mit Service-Infos versorgt, haben menschliche Mitarbeiter:innen mehr Zeit für knifflige Fragen. Wie KI-Servicekräfte angelernt werden können und wie das Publikum mit ihnen interagiert, zeigt ein Feldversuch am OZEANEUM Stralsund.  

Besucher im OZEANEUM steht einem Service-Roboter mit menschlichen Gesichtszügen zugewandt.
Foto: Anke Neumeister/Deutsches Meeresmuseum, CC BY-SA 4.0

Ein Museumsbesuch wird nicht allein durch eine kenntnisreich kuratierte Ausstellung zum Erlebnis. Engagierte Mitarbeitende, die den Besucher:innen freundlich zur Seite stehen, sind ebenso wichtig. Heutzutage revolutionieren KI-Systeme den Servicesektor. Sie beantworten repetitive Anliegen von Kund:innen schnell, präzise und zuverlässig, insbesondere in digitalen Räumen – so das Versprechen.

Können sie auch Mitarbeiter:innen in Kultureinrichtungen entlasten und Besucher:innen bei komplexeren Anliegen unterstützen? Und: Wie holt man bei der Einführung eines Service-Roboters das gesamte Team mit an Bord?  

Im August 2023 waren Anke Neumeister (Stiftung Deutsches Meeresmuseum) und Michael Schiffmann (Cologne Cobots Lab, TH Köln) online bei uns zu Gast, um von einem Modellversuch zu berichten.  

Die Idee zum Feldversuch 

Das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund ist das meistbesuchte Naturkundemuseum Deutschlands. Der populärste seiner vier Standorte, das OZEANEUM, zählte im Jahr 2019 rund 550.000 Gäste. Sie willkommen zu heißen, ihnen den Weg zu den Pinguinen zu zeigen oder Fragen zu Inhalten genauer zu beantworten – das war zu Stoßzeiten auch vor der Pandemie schon eine Herausforderung.   

Als die Museums-Mitarbeiter:innen zu Coronazeiten begannen, roboterartig die immer gleichen Fragen zu Hygieneregeln zu beantworten, war die Projektidee geboren.   

Bei der Suche nach möglichen Kooperationspartner:innen stieß das museum4punkt0-Team des Deutschen Meeresmuseums auf das BMBF-geförderte Forschungsprojekt “SKILLED – Sozioempathische KI-basierte Dialoge” des Cologne Cobots Lab der Technischen Hochschule Köln. Das Skilled-Projekt möchte durch die interdisziplinäre Erforschung empathischer Mensch-Maschine-Interaktion den Einsatz sozialer Roboter und digitaler Avatare im öffentlichen Raum verbessern.

Die KI soll also nicht nur klüger, sondern auch menschlicher werden, denn das entwickelte System begegnet Nutzer:innen stets auf Augenhöhe und unterstützt sie bei der Lösung ihrer Anliegen. Das Projektteam der TH Köln freute sich über die Möglichkeit zur Erweiterung von Skilled, das bisher an anderen Orten des öffentlichen Raums, wie Bahnhöfen und Flughäfen, evaluiert wurde.  

Das zeigt: Wer bei der Bedarfsermittlung nicht ausgehend von der Technik denkt, sondern dort ansetzt, wo es brennt, hat oft einen geschärften Blick dafür, wo passende Kooperationspartner:innen zu finden sind. Und: Museen müssen nicht immer auf fertige Technologie setzen. Ein Blick in die Forschungslandschaft lohnt sich. Das Cologne Cobots Lab beispielsweise verfügt über Mitarbeiter:innen, die einen Abgleich solcher Bedarfe mit dem technisch Möglichen durchführen. 

Der Einsatz von Robotik in Museen ist übrigens keine neue Idee. Bereits 1997 navigierte der Roboter Rhino Besucher:innen durch das Deutsche Museum Bonn. Spätestens seit diesem Forschungsprojekt hat die Evaluation von Forschungsrobotern in Kultureinrichtungen einen guten Ruf in der internationalen Forschungslandschaft zu Mensch-Maschine-Interaktion. Das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien hat eine historische Übersicht mit Projekten erstellt. 

Startphase: Die Kolleg:innen ins Boot holen und den Roboter trainieren

Damit ein Roboter den Besucher:innen der Institution qualifiziert Auskunft erteilen kann, muss er unter anderem mit “Insiderwissen” der Mitarbeiter:innen trainiert werden. Deshalb veranstaltete das interdisziplinäre Projektteam einen Workshop, um von dem Wissen der Mitarbeiter:innen über das Museum zu lernen und ihnen gleichzeitig die Sorge zu nehmen, dass sich hinter dem Forschungsprojekt eigentlich das Ziel verbirgt, Arbeitsplätze abzuschaffen.  

Ein kleines „Praktikum“ im Besucher:innenservice verschaffte dem Skilled-Team weitere Einblicke in den Alltag der Mitarbeiter:innen und die Bedürfnisse der Besucher:innen. Schließlich sollte der soziale Roboter am Ende als echter Gesprächspartner auftreten, mit dem man auch mal kurz über das Wetter quatschen kann.  

Wie generiert eine KI-Anwendung nun zu den sehr unterschiedlich formulierten Bedürfnissen der Besucher:innen die jeweils passende Reaktion – um sie als Antwort auszuspielen? Im Mitschnitt unserer Veranstaltung gibt Michael Schiffmann ab Minute 21:13 eine ausführliche Einführung in die Funktionsweise intelligenter Dialogsysteme – beziehungsweise in deren technischen Stand zu Zeiten der Projektumsetzung.

So funktioniert ein intelligentes Dialogsystem  

Grob heruntergebrochen besteht die Arbeitsweise eines solchen Systems aus drei Schritten:  

1. Das KI-System registriert die Äußerung eines/einer Nutzer:in (z.B.: „Wie lange hat das Museum heute geöffnet?“).  

2. Das KI-System sucht in den Beispieläußerungen, mit denen es trainiert wurde (Trainingsdaten), nach Entsprechungen. Das funktioniert auch dann, wenn die Frage anders gestellt wurde: “Wie lang habt ihr heute auf?” 

3. Die Trainingsdaten sind mit Intentionen („Intents“) verknüpft (z.B.: „Öffnungszeiten“). Hat das KI-System eine ähnliche Äußerung in seinen Trainingsdaten gefunden, greift es auf die Antworten zu, die dieser Intention zugeordnet sind und spielt diese aus (z.B.: „Das Museum ist heute bis 18 Uhr geöffnet”).

Als das Projekt gestartet wurde, musste das Skilled-Team beim KI-Training noch viel mit manuellen Eingaben und Zuordnungen arbeiten. Die dynamischen Entwicklungen im Bereich generativer KI verringern den Arbeitsaufwand hierbei inzwischen erheblich, wie Michael Schiffmann auch im Vortrag verriet.  

Umsetzungsphase: Der Roboter im Publikumskontakt 

Im Frühjahr 2022 war es dann soweit: In zwei Erprobungsphasen konnten sich Besucher:innen des OZEANEUM mit dem Roboter ULI (User Language Interface) unterhalten und Fragen zur Ausstellung, zum Museum und den Meereslebewesen stellen.   

In der ersten Phase sammelte das Projektteam 3268 Konversationen zwischen Besucher:innen und ULI. Diese gruppierten sie, um einen genaueren Überblick über die Themenfelder zu bekommen, die Besucher:innen interessierten. Hier die Ergebnisse des Skilled-Teams als Grafik:  

Zu sehen ist eine Grafik, die die Auswertung der Fallstudie darstellt. Die Äußerungen der Nutzer:innen in die Bereiche Museum, Small Talk, User Statements, Quantifiziertes Wissen und Sonstiges unterteilt.
Feldstudie vom 10. bis 30. März 2022 im OZEANEUM: Grafik zur Veranschaulichung der Ergebnisse von Systemprotokollanalysen. Mit Kategorien, Codes und zitierten Äußerungen der Nutzer*innen als Beispiele, n = 3.268 gültige Äußerungen, Grafik: Ana Müller, Cologne Cobots Lab, TH Köln, CC BY 4.0  

Wie man sieht, interessierten sich die Nutzer:innen für das Museum und dessen Inhalte. Genauso interessant wie das Museum fanden die Besucher:innen aber ULI selbst. Sie fragten den Roboter, ob er Stralsund mag, ob er Köln vermisst, wie alt er ist und ob er einen Partner oder eine Partnerin hat. Das Projektteam der TH Köln war auf diese Anthropomorphisierung, also die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften, vorbereitet und hatte ULI eine Persönlichkeit verliehen.  

Auf der Basis der ersten Feldstudie wurde ULI trotzdem für eine zweite Phase weiterentwickelt: Seine Persönlichkeit wurde ausdifferenziert, er wurde mit mehr Wissen über die Meere und Stralsund trainiert. Am Ende standen ihm 3761 Trainingsbeispiele für 358 Intents zur Verfügung – und 932 Antwortmöglichkeiten, die ihn empathisch auf Fragen antworten ließen.  

Die wichtigsten Erkenntnisse auf einen Blick  

  • Hochwertige Trainingsdaten: Wer möchte, dass das KI-System qualifiziert Auskunft erteilen kann, muss es vor dem Einsatz mit großen Mengen eigener Trainingsdaten füttern – zu klassischen Serviceaspekten, zur Geschichte und den Inhalten der eigenen Institution und schließlich auch über das System selbst. Das braucht Zeit und personelle Ressourcen.   
  • Team ins Boot holen: Durch die frühe Einbeziehung der Mitarbeiter:innen in die Entwicklungs- und Implementierungsphase bauten diese ein positives Verhältnis und sogar eine „Beziehung“ zu ULI auf und erkundigten sich zwischen der ersten und zweiten Phase, wann er wiederkomme und wie es ihm gehe.  
  • Publikum animieren: Obwohl KI-Systeme Hochkonjunktur haben, ist die Interaktion mit einem Roboter für viele Besucher:innen neu und ungewohnt. Nicht alle erkennen auf Anhieb, wofür das System da ist und was man mit ihm machen kann. Das Projektteam montierte deshalb Schilder am Roboter, die zur Interaktion aufforderten und direkt passende Beispielfragen lieferten: “Was darf ich nicht verpassen?” oder “Wo sind die Pinguine?”.
  • Risiken einbeziehen: Menschen fassen Roboter gerne an. Die kosten aber viel Geld, im Fall von ULI etwa 18.000 Euro. Wer ein so hohes finanzielles Risiko nicht eingehen kann oder möchte, kann auch auf KI-Avatare auf Bildschirmen setzen. 
  • Selbstbewusst auf potentielle Kooperationspartner:innen zugehen: Besucher:innen von Kultureinrichtungen wie dem Deutschen Meeresmuseum bilden einen guten demographischen Schnitt der Bevölkerung ab und eignen sich dadurch hervorragend für Datenerhebungen. Als Kultureinrichtung hat man für Forschungsinstitutionen als mögliche Kooperationspartnerin also etwas zu bieten und kann selbstbewusst auf sie zugehen. 
  • Service-Roboter werden als vertrauenswürdig wahrgenommen: Besucher:innen haben großes Vertrauen in die Informationen, die sie von ULI erhalten, weil er für die Einrichtung steht. Die Institution wird sofort auf den Roboter projiziert, er wird als „Museums-Roboter“ gelesen.
  • Achtung, Video-Aufnahmen: Systeme wie ULI machen Video- und Audioaufnahmen, um auf ihre Umgebung reagieren zu können. Im Skilled-Projekt wurde daher ein Ethik- und Datenschutzkonzept mit Expert:innen auf diesen Gebieten erarbeitet. Wichtig ist vor allem, dass Nutzer:innen vor der Interaktion informiert werden und das System so platziert wird, dass niemand versehentlich und unwissentlich aufgezeichnet wird.  
  • Bewertung durch Besucher:innen: Am Ende empfanden Besucher:innen und Museumspersonal ULI als Bereicherung – mit viel Entwicklungspotenzial. Anders ausgedrückt: Sie konnten sich schon gut vorstellen, dass solche Systeme eine große Hilfe und Bereicherung sein werden, wenn die Forschung und Entwicklung abgeschlossen ist und Kinder- bzw. Prototypkrankheiten behoben sind. 

Hier kommt nun der Vortrag von Anke Neumeister und Michael Schiffmann in voller Länge:  

Text: Thorsten Baulig
Fachlicher Input: Anke Neumeister und Ana Müller