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Personas: Kulturangebote bedarfsorientiert gestalten 

Personas verleihen abstrakten Publikumsdaten ein menschliches Gesicht. Wir zeigen, wie diese fiktiven Archetypen funktionieren, wie ihr sie zur Konzeption und Weiterentwicklung eures Kulturangebots nutzen könnt und, wo ihre Grenzen liegen. 

Ein Steckbriefdokument, das am unteren linken Rand die grafische Darstellung einer Person mit lockigen kurzen Haaren zeigt. Über und neben ihr sind als Punkte und Balken stilisierte Eingabefelder für Daten zu sehen.
Beispielhafter Persona-Steckbrief. Grafik: kulturBdigital

Für wen machen wir das hier eigentlich? Die Frage nach der Besucher:innenzentrierung ist in den letzten Jahren wohl an niemandem vorbeigegangen, der:die in der Kultur beschäftigt ist. Der Anspruch, Formate zielgruppenspezifisch zu gestalten, ist hoch.  

Wie findet man nun heraus, wer die eigenen Angebote nutzt und wer nicht – und warum? Wie kann man das Erlebnis bisheriger Besucher:innen verbessern und mit welchen zusätzlichen Angeboten lockt man neue Menschen in die eigenen Ausstellungen, Lesungen oder Theatervorführungen?  

Es braucht nicht zwingend umfangreiche Befragungen, um Antworten zu finden, die einem weiterhelfen. Die Personas-Methode ist eine Möglichkeit, mit oder ohne große Datenbasis, mit viel oder wenig Zeit und auf der Grundlage eurer Alltagserfahrungen mit den Bedürfnissen eurer Zielgruppe in Kontakt zu treten – beispielsweise, bevor ihr ein neues Angebot konzipiert oder ein bestehendes weiterentwickelt. Oder, um der Agentur, die euren Veranstaltungskalender designt, ein möglichst genaues Bild eurer Zielgruppe zu vermitteln. Unabhängig von konkreten Angeboten können Personas auch zur Schärfung der internen Perspektive beitragen.  

Das Workbook des kürzlich zu Ende gegangenen Verbundprojekts museum4punkt0 bringt es auf den Punkt: „Jedes Hilfsmittel, die Zielgruppe in Entscheidungen einfließen zu lassen, ist besser als gar keins. […] Eine Persona ist ein Bekenntnis zu einer nutzer*innenzentrierten Haltung, das auf jedem Niveau beginnen und wachsen kann.“ 

Die Persona: Ein fiktives Gegenüber 

Personas sind imaginierte Repräsentant:innen (eines Teils) eurer Zielgruppe. Sie können helfen, euch euer Publikum als Ansammlung echter Menschen mit echten Eigenschaften, Vorlieben und Bedürfnissen vorzustellen und euch in diese hineinzuversetzen.  

Klassischerweise werden Personas in Steckbrief-Dokumenten dargestellt. Je nach Anwendungsfall setzen sie sich aus allgemeinen Angaben zu Namen, Alter, Beruf und Bildungshintergrund sowie spezifischeren Informationen zum Lebensstil und den Interessen, Bedürfnissen und Erwartungen zusammen, die sich auf euer Angebot beziehen. Um die Vorstellungskraft anzuregen, werden sie oft auch mit einem Porträt oder Angaben zu äußeren Merkmalen ergänzt. 

So gelingt der Einstieg

Bei der Erstellung von Personas geht es immer darum, vom Abstrakten ins Konkrete zu kommen. Eine Persona ist nicht zwischen 30 und 40 Jahren, sondern genau 37 Jahre alt. Sie hat nicht einfach einen Hochschulabschluss, sondern einen M.A. in Sozialwissenschaften und interessiert sich nicht allgemein für Bildende Kunst, sondern vor allem für den Bauhaus-Stil. In ihrem Berufsalltag als Sozialberaterin für Migrant:innen ist sie viel in Kontakt mit anderen Menschen. Ins Museum geht sie meist alleine, um zur Ruhe zu kommen und sich wieder aufzuladen.  

Ihr merkt vielleicht: Schon wenige Details führen dazu, dass sich vor dem inneren Auge langsam und schemenhaft die Vorstellung von einem Menschen anbahnt. Unsere Vorstellungskraft stattet diesen Menschen assoziativ mit weiteren Merkmalen und Bedürfnissen aus, ohne dass sie genannt werden mussten. Für den Einstieg in die Arbeit mit Personas reicht deshalb oft schon ein kleiner Mix aus demografischen Angaben und weicheren Persönlichkeitsmerkmalen.

Je nachdem, wieviel Zeit und Ressourcen ihr investieren könnt oder möchtet, können diese Daten aus verschiedenen Quellen stammen: Bei wenig Zeit aus den alltäglichen Erfahrungen mit oder Beobachtungen zu eurem Publikum, bei etwas mehr Zeit aus einer kleinen Auswertung der Besucher:innen eurer Social Media-Profile und bei ausreichend Zeit und etwas Geld aus einer breiter angelegten Umfrage unter euren Besucher:innen vor Ort.

Je präziser und vollständiger euer Bild von der Persona ist, desto besser könnt ihr eure Erfahrungen, eure Vorstellungskraft und euer Einfühlungsvermögen einsetzen, um künftige Angebote zu testen, Publikumsservices zu überprüfen oder neue Ideen auszuloten.  

Lesetipp

Anleitung zum Erstellen einer Persona für digitale Vermittlungsangebote von museum4punkt0 (ab S. 52)

museum4punkt0 Workbook

Was können Personas – und was nicht? 

Mit jeder spezifischen Charaktereigenschaft entfernt sich die Persona etwas weiter von dem, was man als „durschnittliche:r Besucher:in“ bezeichnen könnte. Eine Persona eignet sich also vor allem, um einen Blick auf einen speziellen Teil eurer Zielgruppe zu werfen. Je nach Vorhaben solltet ihr mit mehreren Personas arbeiten, um möglichst viele Perspektiven mitzudenken. Auch dabei ist jedoch Vorsicht geboten.  

Ein Gedankenspiel: Wenn ihr darüber nachdenkt, welche Speisen ihr für eure Geburtstagsfeier vorbereitet, werdet ihr automatisch die Liste eurer Gäste durchgehen. Eure Freundin Claudine ernährt sich vegan und hasst Zwiebeln, Papa verträgt weder Steinobst noch Möhren und mag es gerne gutbürgerlich. Onkel Günther kann nicht mehr so gut kauen und euer Freund Alessandro mag am liebsten Kohlenhydrate – scharf darf es für ihn aber nicht sein.  

Mit einer milden Kartoffelsuppe schließt man bei dieser Datenbasis niemanden vom Geburtstagsessen aus. Ein kulinarisches Erlebnis wäre es trotzdem für die wenigsten. Wer versucht, es allen mit einem Angebot recht zu machen, wird nicht bei Angeboten landen, die auch für alle attraktiv sind.  

Konkrete Ziele setzen

Stattdessen sollte man Personas lieber nutzen, um Angebote in bestimmten Bereichen nachzuschärfen. Es gilt also, sich ein konkretes Ziel zu überlegen, das man mit einer Persona verfolgen möchte – zum Beispiel, ein jüngeres, diverseres Publikum anzusprechen oder den Besuch der eigenen Einrichtung auch für ältere Semester möglichst rund und zufriedenstellend zu gestalten. In einem Fall beschäftigt man sich mit jenen Menschen, die man schon erreicht, im anderen mit jenen, die man noch erreichen möchte.   

Von den Personas-Templates, die man online findet, ist eher abzuraten. Sie stammen häufig aus dem Bereich der Marktforschung, sind zu generisch oder fragen Kategorien ab, die für eure speziellen Zwecke nicht geeignet sind und eure Perspektive in falsche Bahnen lenken können. 

Kurze Checkliste für den Erfolg von Personas in eurer Organisation 

Damit die Einführung von Personas-Arbeit in eurer Organisation gelingt, solltet ihr einige weitere Dinge beachten:   

  • Holt die Führungsebene und einen engen Kreis an Kolleg:innen mit an Bord. Wenn die Projektleitung hinter eurem Vorhaben steht und ihr weitere Fürsprecher:innen habt, strahlt das auf alle Kolleg:innen ab. 
  • Wer am Ende mit den Personas arbeiten soll, sollte auch Einblick in ihren Entstehungsprozess bekommen. Sonst entsteht schnell das Gefühl, man hätte es hier mit realitätsfernen Fantasiewesen ohne Faktenbasis zu tun, die für die eigene Arbeit nur eine entsprechend geringe Rolle spielen können.  
  • Damit sie nicht in Vergessenheit geraten, solltet ihr die Personas immer wieder mit in Meetings nehmen. So kommen sie euren Kolleg:innen irgendwann automatisch in den Sinn, wenn es darum geht, das Publikum mitzudenken.  

Lesetipp

Persona-Checkliste für Organisationen von der renommierten Nielsen Norman Group (Engl.)

Why Personas Fail

Diese und weitere Hinweise findet ihr ausführlicher (und auf Englisch) auf der Website der Nielsen Norman Group. Ihr Mitgründer Don Norman ist ein Pionier der Nutzer:innenzentrierung. 

Ein Modellprojekt: (De-)Coding Culture bei den Staatlichen Museen zu Berlin 

Im Mai 2023 berichtete Josefine Otte bei der kulturBdigital-Veranstaltung zu Personas aus ihrer Arbeit bei den Staatlichen Museen zu Berlin. Im museum4punkt0-Teilprojekt (De-)Coding Culture verfolgte sie dort das Ziel, mit digitalen Hilfsmitteln neue Beziehungen zwischen musealen Objekten und Museumsbesucher:innen zu erschaffen, das Museum für neue Zielgruppen zu öffnen und die Bedeutung von Kunst und Kultur für den Alltag der Menschen sichtbar zu machen.  

In diesem Rahmen führten sie und ihre Kolleg:innen am Anfang des Projekts eine groß angelegte empirische Grundlagenstudie durch, die einen Einblick in die Motivationen, Erfahrungen und Bedürfnisse von Museumsbesucher:innen geben sollte. So wollte sie Verbesserungspotenziale in den jeweiligen Visitor Journeys aufspüren – also bei allen Punkten von der Besuchsidee bis zum Verlassen der Ausstellung und der Rückkehr in den Alltag, an denen Besucher:innen analog oder digital mit dem Museum in Kontakt kommen.   

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie: „Die übergreifende Segmentierung von Zielgruppen nach Besuchsmotivationen oder Lebensstilen eignet sich für ein tiefgreifendes Verständnis der Erwartungen und Bedarfe besser als die nach soziodemografischen Faktoren. So kann die Frage „Wieso sind Sie heute hier?“ zu einem deutlich besseren Verständnis von Museumsbesucher*innen beitragen.“ 

Die Tiefeninterviews, die Josefine Otte und ihre Kolleg:innen anschließend mit ausgewählten Besucher:innen der Gemäldegalerie führten, waren dementsprechend offen gehalten. Die Befragten durften frei darüber berichten, warum sie eine Ausstellung an genau diesem Tag besuchen (z.B. wissenschaftliches Interesse oder allgemeine Neugier, der Wunsch nach einer Auszeit oder nach einer Wochenendbeschäftigung mit der Familie, etc.). Die Befragungen ließen auch Raum für Bemerkungen zur gastronomischen Infrastruktur, zu fehlenden oder vorhandenen (digitalen) Zusatzinformationen zu Exponaten oder zur Möglichkeit, zwischendurch zur Ruhe zu kommen.  

Lesetipp

Einführung in die Methodik von John Falk (auf Englisch)

J. Falk, Understanding Museum Visitors‘ Motivation and Learning

Auf der Basis dieser Befragungen erstellte Otte fünf Personas, die jeweils für einen archetypischen Museumsmotivationstyp stehen. Dafür orientierte sie sich an Modellen des Besucher:innen-Forschers John Falk.

Ein Beispiel aus der Studie: Der Motivationstyp ”Professional / Hobbyist” für die Gemäldegalerie. Ein Klick aufs Bild führt zu einer größeren Darstellung. Grafik: museum4punkt0, CC BY 4.0

In der Dokumentation des museum4punkt0-Projekts erhaltet ihr einen tiefen methodischen Einblick in besucher:innenzentrierte Arbeit. Hier findet ihr zu jeder der Personas ausführliche Angaben, die auch für Überlegungen zu euren eigenen Personas hilfreich sein können. Auch prototypische Visitor Journeys sind hier für jede Persona einsehbar.  

Ein Praxisbeispiel für die Anwendung von Personas in der Kultur findet man beim Museum of Art and History in Santa Cruz, Kalifornien. Für das Neudesign der Website orientierten sich die Museumsmitarbeiter:innen an den Motivationstypen von John Falk – und das bereits im Jahre 2015.

Lesetipp

Das Museum of Art and History in Santa Cruz hat seine nutzer:innenzentrierte Arbeit kurz dokumentiert:

Visitor-first, mobile-first: Designing a visitor-centric mobile experience

Der Website sieht man das auch heute noch an. Egal, ob man auf der Suche nach aktuellen Ausstellungen ist, sofort online in Inhalte einsteigen möchte oder nach sozialen Erfahrungen und Möglichkeiten zur Partizipation Ausschau hält: Die Website führt schnell an Orte, die mit dem gewünschten Angebot aufwarten. 

Personas und Barrierefreiheit 

Bei allen Unterschieden haben die Personas aus der museum4punkt0-Studie auch vieles gemeinsam: Sie alle können sehen, hören und deutsche Lautsprache sprechen, sind nicht in ihren kognitiven Fähigkeiten oder ihrer Mobilität eingeschränkt und haben weder eine Sozialphobie noch eine Autoimmunerkrankung. 

Damit offenbart sich eine große Schwäche solcher datengetriebener Ansätze: Sie können ermitteln, welche Verbesserungspotenziale es für jene Teile des Publikums gibt, die es bereits in die eigene Einrichtung schaffen. Die Bedürfnisse jener Menschen, die vielleicht großes Interesse an einem Besuch hätten, aber von vielfältigen Barrieren daran gehindert werden, erfassen sie meist nicht oder nur ungenügend.  

So werden zwar in manchen Studien Hinderungsgründe für den Kulturbesuch aufgeführt, beispielsweise ein „Mangel an Begleitpersonen“. Es bleibt aber oft unklar, ob es hier nur darum geht, dass man eine Ausstellung nicht allein besuchen möchte oder ob eine Person ohne Begleitung schlichtweg nicht zum Museum gelangen kann.  

Bei der Frage, wie nutzer:innenzentrierte Methoden auch die Bedarfe von Menschen einbeziehen können, die in unterschiedlicher Weise auf barrierefreie Angebote angewiesen sind, ist also noch viel Luft nach oben. Wie man Personas für barrierefreie Angebote konzipieren kann, ohne dabei wiederum in Klischees abzudriften, wird uns bei kulturBdigital in der nahen Zukunft noch beschäftigen. 

Fazit 

Trotz aller Einschränkungen ist die Arbeit mit Personas immer ein Schritt in die richtige Richtung. Auch, wenn ihr die wandelbaren Bedürfnisse eures heterogenen Publikums nie vollständig in den Blick bekommen könnt, seid ihr so auf eine Weise mit ihm in Kontakt, die euch in der Weiterentwicklung eurer Arbeit wach und flexibel halten kann. 

Dafür ist es wichtig, dass auch die von euch genutzten Personas wandelbar bleiben und ihr für verschiedene Ziele verschiedene Personas zu Rate zieht. So können sie dazu beitragen, dass Kulturorte ihrer Bestimmung gerechter werden: Offene Orte zu sein, an denen Menschen die Erfahrung machen, dass auf sie eingegangen wird. Denn von einem kann man ausgehen: Menschengruppen, um die man sich in der Konzeption einer Ausstellung oder einer Performance Gedanken gemacht hat, werden das merken (und wertschätzen).  

Text: Thorsten Baulig