Rund 170 Teilnehmende kamen auf der 4. Konferenz zur digitalen Entwicklung im Kulturbereich von kulturBdigital in Berlin-Kreuzberg zusammen.
Warum LevelUp?
Die Kultur hat wie viele andere gesellschaftliche Bereiche in den vergangenen Jahren auf die Dynamiken der Digitalität reagiert. Vor und hinter den Kulissen der Kulturbetriebe manifestiert sich eine neue Arbeitswelt von Prozessen, Tools und Technologien, die sich so rasant wie die digitale Gesellschaft verändert. „Vieles wurde mehr oder weniger freiwillig ausprobiert, etliches verworfen und noch mehr für sinnvoll für die weitere Arbeit befunden“, sagt Annette Kleffel, Leiterin Netzwerke und Kooperationen bei der Technologiestiftung Berlin und Projektverantwortliche für kulturBdigital. Mobiles Arbeiten, Onlinestreaming statt Live-vor-Ort-Aufführungen und zahlreiche neue digitale Formate und Programme prägten die vergangenen Monate. Aber auch: Unzureichende digitale Infrastruktur sowie fehlende Kommunikationswege und Ressourcen. LevelUp ist daher ein „Blick auf den Ist-Zustand, auf Arbeitsweisen, Lernprozesse und Personalbedarfe“, betont Projektleiterin Silvia Faulstich. Und die zentrale Frage ist: „Wie klappt eigentlich der Sprung ins nächste Level, von dem, was jetzt ausprobiert wurde?“ Es geht um die nötigen Rollen und Kompetenzen der Kulturakteur:innen, um wirksame Lernmodelle und um Antworten auf die Frage, welche Infrastrukturen ihnen in ihrer Arbeitswelt helfen können.
kulturBdigital, eine Kooperation der Technologiestiftung Berlin mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, hat dazu Expert:innen und Kulturschaffende zur inzwischen 4. Konferenz am 21. September 2022 eingeladen. In Vorträgen und Diskussionen wurden zahlreiche Erfahrungen ausgetauscht und Impulse geteilt.
Tanker träumt davon E-Speedboat zu sein
Die deutschen Organisationsstrukturen waren und sind die größten Herausforderungen für Paul Spies, seit 2016 Vorstand und Direktor des Stadtmuseums Berlin sowie Chef-Kurator des Landes Berlin im Humboldt Forum. „Deutschland wirkt im Vergleich mit Holland eher wie ein Tanker“, resümiert der niederländische Kunsthistoriker seine Erfahrungen der letzten Jahre. „Wir wollen aber Speedboat sein“, formuliert er seinen Anspruch. Das Stadtmuseum soll ein Ort sein, um mit der Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. „Berlin Global“, die von Spies kuratierte Ausstellung im Humboldt Forum, stellt daher das Mitmachen, die Partizipation der Besucher:innen in den Fokus. Diese können interaktiv erleben, wie die Stadt mit der Welt verbunden ist. Aber es komme darauf an, nicht nur die Ausstellungen digital zu machen, sondern auch die Organisation dahinter.
Spies beklagt dabei, dass das Stadtmuseum als landeseigener Betrieb zu sehr mit altmodischen Systemen arbeiten muss. Daher habe er angefangen, die Organisation umzustrukturieren: Flachere Hierarchien und größere Eigenverantwortlichkeit bei den Mitarbeitenden ist sein Ansatz für eine zukunfts- und arbeitsfähige Organisation.
Impulse setzen
Berlins Kultursenator Dr. Klaus Lederer ging in seinem Statement auf die Fortschritte ein, die aus seiner Sicht bei der Digitalisierung seit 2018 erreicht wurden. „Wir haben Projekte gefördert, die Infrastrukturen und Räume geschaffen haben.“ Mit dem Innovationsfonds Berlin sei es gelungen, Geld direkt für die Digitalisierung konkreter Projekte der Berliner Kultur zu sichern. Als Beispiele nennt Lederer „Prater digital“, das digitale Ticketingsystem u.a. für das Kolbe-Museum und die digitale Bühne am HAU, die jetzt verstetigt werde.
Ein großer Erfolg sei auch die Schaffung von 70 Stellen für Digitalmanager:innen, sogenannten Resilienz-Dispatcher:innen, an Kultureinrichtungen. „Diese Stellen sollen das Mindset ändern“. Einen wichtigen Impuls sieht Lederer auch in der Verstetigung von kulturBdigital bis 2026 als dauerhafte Kooperation zwischen seinem Haus und der Technologiestiftung Berlin.
Welche Personalbedarfe und Rollen entstehen im digital versierten Kultursektor?
Die Herausforderungen, die durch Digitalität in der Arbeitswelt des Kultursektors zu meistern sind, sind unbestritten vielfältig. Doch steht im Kern des Problemkreises die Frage, welche Menschen, mit welchen Qualifikationen und Erfahrungen es braucht, um sie nachhaltig zu meistern.
Am Museum für Naturkunde wurden beispielsweise für die Digitalisierung der 30 Millionen Objekte Stellen für Erschließungsmanager:innen geschaffen. Deren Aufgabe ist es, den komplexen Prozess aus Inventarisierung, Konservierung, Digitalisierung und Weiterverarbeitung (in Datenbanken) und die vielfältigen Aufgaben und Kompetenzen des Erschließungsteams ganzheitlich zu organisieren. Dr. Frederik Berger und Franziska Schuster vom MfN berichten von Stellenprofil und ersten positiven Erfahrungen aber auch von der „Skepsis, dass Bewährtes verlorengeht.“ (Schuster)
Friedrich Kirschner, Professor an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch macht in seinem Impuls die Diskrepanz deutlich, die sich aus den Vorgaben einer öffentlichen Ausschreibung und den tatsächlichen Anforderungen an die Rolle ergibt. „Die Dinge, die essenziell sind und die Dinge, die nicht in der Ausschreibung stehen, weil es bei einer Professur an der staatlichen Schauspielschule um ganz andere Dinge geht, das ist eine der großen Schwierigkeiten.“
Welche (Frei-)Räume braucht die Transformation?
Veränderung braucht Raum. Aber welche Umgebungen befördern neue Arten der Zusammenarbeit und welche Infrastrukturen helfen wirklich beim Ausprobieren, Andersdenken oder Umsetzen? Unter dieser Fragestellung diskutierten neben Senator Klaus Lederer Anna Vera Kelle vom Theater Strahl, Kirsten Seligmüller vom DOCK 11/DOCKdigital und Tim Sandweg von der Schaubude Berlin.
Eine der Voraussetzungen formuliert Senator Lederer: „Das Team braucht eine intrinsische Motivation, etwas zu machen.“ Für Anna Vera Kelle gilt: „Spielen, auch wenn noch nicht alles fertig ist“. Man müsse Schauspieler:innen die Angst vor der Digitalisierung nehmen: „Schauspieler fürchten bei digitalen Projekten, dass sie nicht mehr vorkommen.“
Alle betonen, dass Workshops, Prototypen und Labore „superwichtig“ sind, „Labore ohne Ziel sind herausragend, um gute Leute zu finden“ (Seeligmüller) und sie schaffen „persönliche Möglichkeitsräume“ für die Mitarbeitenden (Kelle). Eine entscheidende Erkenntnis für Tim Sandweg während der Pandemie war die Wichtigkeit von emotionaler Arbeit. „Wie nimmt man alle mit? Und wie gleicht man Unstimmigkeiten aus?“
Wie bleibt das Wissen?
„Wie überzeuge ich die Mitarbeiter:innen von der Mehrarbeit, die sie haben, wenn sie Wissen mit potenziellen Nachfolger:innen teilen sollen?“ Das war eine Frage in der Diskussion mit Sascha Hergesheimer vom Nationaltheater Mannheim, mit Pablo Dornhege, digital.DTHG / Deutsche Theatertechnische Gesellschaft und mit Liga Megne vom Musicboard Berlin GmbH. Denn häufig verschwindet mit dem Ende eines Projektes auch das darin erworbene Wissen.
Die Fluktuation im Kulturbereich lässt Know-how verloren gehen. Liga Megne betont die Notwendigkeit der Dokumentation, insbesondere bei Remote Work. Entscheidend sei die Handbook-First-Methode. „Das bedeutet: Erst aufschreiben, dann darüber reden, dann fragen. Alles soll nachgeschlagen werden können“. Pablo Dornhege setzt auf „persistente Freundlichkeit“, um alle im Haus zu überzeugen, neues Wissen zu erwerben und weiterzugeben. Sascha Hergesheimer plädiert dafür, die Kompetenzen der eigenen Mitarbeitenden zu entwickeln. Dabei müsse bei allen Projekten gefragt werden, woher die Expertise komme. Erst in Ermangelung personeller oder finanzieller Ressourcen stelle sich ihm die Frage, ob Technikaufträge outgesourct werden.
Avatare und Agent:innen
Die Diskussionen und Impulsvorträge im Auditorium wurden flankiert durch lockere Gespräche in den Pausen und durch künstlerische Präsentationen. Das DOCKdigital Lab und Nico and the Navigators stellten zum Beispiel die AR Loop-Machine vor: Dabei konnte mithilfe von Augmented Reality-Brillen Avataren beim Tanzen zugeschaut und farbige Strukturen im Raum geschaffen werden. Mehr Informationen gibt es auf der Homepage von DOCK11.
Bei einem Meet-up stellte Tobias Witt vom CityLAB Berlin zudem das Projekt „Service Agent:innen“ vor. Dabei ging es um die Entwicklung eines Handbuchs für die Verwaltung mit Methoden für agiles und digitales Arbeiten. Denn, so Witt, „Die Berliner Verwaltung ist reformierbar“, man müsse nur mit kleinen Schritten und Projekten beginnen. Anhand realer Verwaltungsprozesse wurden so Methoden für agiles Arbeiten entwickelt – ein Service Design in 8 Modulen. Ausführliches dazu auf der Homepage des Projektes Service-Agent.innen.
Mit der vierten Ausgabe der Konferenzreihe ging ein erfolgreiches Netzwerkevent zu Ende: Rund 170 angemeldete Teilnehmende konnte das Team des kulturBdigital Labs der Technologiestiftung Berlin zum angeregten Austausch über die neue Arbeitswelt in der Kultur begrüßen.
Text: Thomas Prinzler
Mehr erfahren
1. Konferenz zur digitalen Entwicklung im Kulturbereich 2018
2. Konferenz zur digitalen Entwicklung im Kulturbereich 2019
3. Konferenz zur digitalen Entwicklung im Kulturbereich 2020